Klaus Dierßen
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Thoralf Zänsdorf,
Gestalter

Ich habe gleich nach der Schule eine Lehre als Kürschner angefangen. Das war noch bei meinem Vater im Betrieb. Der hat schon viele Jahre einen eigenen Laden gehabt. Wir sind schon seit über vierhundert Jahren Kürschner, das liegt in der Familie. Das geht vom Vater zum Sohn und so weiter. Ich bin also da mit eingestiegen. Zu DDR-Zeiten lief das ganz gut. Wir haben zweimal in der Woche geöffnet, nur nachmittags, und nach einer halben Stunde war alles verkauft. Wir konnten uns also nicht beklagen. Mein Bruder ist später auch dazugekommen. Das trug der Laden aber nicht mehr, und da ich am weitesten mit meiner Ausbildung war, ich hatte den A-Teil zum Meister schon abgelegt, mußte ich dann raus aus dem Geschäft ...

Ich mußte mir also ein Geschäft suchen. Das war gar nicht so einfach. Es konnte ja niemand so einfach ein Geschäft aufmachen, sondern da mußte schon ein entsprechender Betrieb da sein. Im Bezirk Magdeburg gab es damals vierzig Kürschnerbetriebe, heute sind es nur noch einer oder zwei. Man hat dann im Bezirk herumgehorcht. Wo ist jemand, der aufgeben oder aus Altersgründen aufhören will. Hier in Wernigerode war das der Fall. Hier gab es ein alteingesessenes Geschäft, dessen Inhaber in Rente gehen wollte ...

Das war im Januar 1989 und von Wende war noch nicht viel zu spüren. Ich bin da schon einmal nach Leipzig gefahren zu den ersten Demonstrationen, aber so klar war damals noch nicht, wo es hingeht. Es hat zuerst ganz langsam angefangen und man hörte von diesen Protesten und ist mal hingefahren. Das war eine ganz eigenartige Stimmung bei diesen Montagsdemos. Man war ja immer in der Illegalität und von daher aufgeregt. Am Anfang haben sie das ja auch niedergeschlagen, aber als es dann immer mehr wurden, auch in anderen Städten, da kam richtig Bewegung rein. Eines vergesse ich nie. In Leipzig war so eine Art Rondell, wo die Märsche rübergingen und da kam man auch an der Staatssicherheit vorbei. Alles war friedlich und die Leute haben da einfach Kerzen hingestellt.

Man hat sich dann auch organisiert, im Neuen Forum oder so. Ich war vorher schon in der LDPD, der Liberaldemokratischen Partei und bei der JULIA, der Jungen Liberalen Aktion gewesen und habe zum Beispiel auch Treffen mit Westjugendlichen organisiert. Mit dieser ›falschen‹ Parteizugehörigkeit hatte ich aber zu DDR-Zeiten schon öfter Schwierigkeiten ...

Dann kam die Wende dazwischen. Genau zur Währungsunion 1990 habe ich dann angefangen hier auszubauen. Ich hatte eine richtige Kürschnerei mit Handel. Durch die Wende war der Bedarf nach Lederkleidung größer geworden, hauptsächlich Jacken. Ich hatte hochwertige Ware, die war aber nicht ganz billig und das konnte sich nicht jeder leisten. Der Umsatz wurde dann weniger und ich suchte nach etwas anderem. So kam auch der Kontakt zu Wieland Wetzel zustande, der gleich nebenan sein Geschäft hatte. Er war von der Ausbildung her Werkzeugmacher, hat sich autodidaktisch weitergebildet zum Graveur und dann darin auch eine Ausbildung gemacht. Sein Geschäft hat er auch schon vor der Wende aufgemacht. Wir kamen öfter zum Klönen oder auf eine Zigarette zusammen. Bei ihm ergab sich, daß er aus seinem Laden raus mußte, weil das Haus verkauft wurde. Da wir beide jung waren, ähnliche Ansichten hatten und uns gut verstanden, haben wir gedacht: Machen wir doch was zusammen.

Ende 1991 haben wir dann beschlossen, eine gemeinsame Firma im Gravur- und Werbebereich zu machen. So kam es zum Räumungsverkauf. Das lief ganz gut und so hatte ich das Startkapital für das neue Geschäft. Der Laden hier war auch in Ordnung und mit ein paar Umbauten konnten wir dann anfangen. Das war im Februar 1992. Wir haben dann auch den Dieter eingestellt. Von der Auftragslage ging es gut. Wir haben einen größeren städtischen Auftrag bekommen, das war die Stadtbeschilderung hier in Wernigerode. Später haben wir dann Computer geschafft und vieles darauf umgestellt.

Wir sind jetzt eine Gravierwerkstatt und machen sehr viel Verschiedenes in diesem Bereich. Gravuren in Plexiglas, Messing, Silber, Aluminium und so weiter. Beschilderungen aller Art, wie Türschilder, Wegweiser und eben auch Orientierungssysteme für größere Städte. Wir teilen das jetzt in bißchen auf. Wieland macht die Gravurstrecke, ich mehr die Schilder und Folienschriften. Weiterhin machen wir Entwürfe für Broschüren und Werbedrucksachen, Logos für Firmen und ähnliches. Wir arbeiten hier auch mit anderen Firmen zusammen ...

Ich bin durch das Geschäft meines Vaters in die Selbständigkeit hineingewachsen. Das hatte zu DDR-Zeiten schon einen höheren Stellenwert. Wer damals selbständig war, der hat meist auch mehr verdient. Das war schon immer so. Ich habe das Geschäftsmäßige zu Hause auch immer mitgekriegt. Neu war natürlich das Steuersystem. Aber ein Geschäft zu eröffnen, war in der ersten Zeit relativ einfach. Da gab es Sonderregelungen und das war in einer halben Stunde erledigt ...

Wir sind beide sehr vorsichtig und haben alles mit eigenem Kapital gekauft und eingerichtet. Nur das Haus ist belastet. Das haben wir 1993 aufgrund des Paragraphen 3a des Investitionsvorranggesetzes gekauft. Da waren Alteigentümer, die das zurückhaben wollten. Aber wir haben den besseren Plan für die Zukunft des Hauses vorgelegt und so den Zuschlag bekommen. Die andere Partei wollte auch Läden hier drin haben, aber so etwas wie Boutiquen oder Fitneß-Center. Wir konnten ja auch vorweisen, daß wir Arbeitsplätze schaffen und wir haben gehofft, daß die Stadt uns als Handwerksbetrieb behalten will. Wir hatten dann sogar einen Ortstermin mit dem Bürgermeister ...

Es gab auch schon Phasen, wo wir daran gedacht haben, aufzugeben. Aber das liegt auch begründet in dem Umstand, daß wir uns bei genügend Aufträgen nicht mehr so sehr um weitere bemüht haben. Mittlerweile haben wir daraus gelernt und jetzt läuft es gut. Solche Fehler macht man nur einmal. Es hat sich dann alles kontinuierlich gesteigert. Teilweise haben wir achtzig bis hundert Stunden in der Woche gearbeitet. Wir haben keine Rezession oder Sommerloch gespürt ...

Mir ging es zu DDR-Zeiten nicht so, daß ich sagen konnte, es sei unerträglich. Ich konnte zwar nicht ins Ausland reisen, mir aber leisten, was ich wollte. Die älteren Semester haben schon Jahre vor der Wende gemunkelt, daß etwas passieren muß. Es gab auch so etwas wie inneren Protest, indem manche bei den Demonstrationen zum 1. Mai oder zum 7. Oktober keine Fahne rausgehängt haben oder ähnliches. Die hatten dann aber eine Streichung von Privilegien zu befürchten. Die Stasi war ja immer agil ...

Heute geht es uns in vielen Dingen zwar besser, einige Sachen, die abgeschafft wurden, hätte man aber lassen können. Man konnte damals zum Beispiel nicht durchs Sieb fallen und heute hört man doch von Pleiten, hohen Schulden und Leuten, die nie mehr auf den grünen Zweig kommen ...

Viele haben die Wende um jeden Preis haben wollen. Ob als Angliederung an die Bundesrepublik oder als eigener Staat. Auf jeden Fall wollten sie die D-Mark. Und heute, wo viele Erwartungen nicht so eingetreten sind und die Leute nicht so viel Geld verdienen, sagen manche: Ich möchte die Mauer zurück. Das kann ich nicht verstehen. Der Mensch vergißt die negativen Sachen zu schnell ... – und vieles war damals hier nicht in Ordnung ...

 
Hildesheim 2021