Klaus Dierßen
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Uwe Eichmann
Pegasus Bestattungen

Ich komme aus der Branche, ich bin schon zwölf Jahre im Geschäft. In der DDR gab es das städtische Bestattungswesen. Ganz früher war das privat, aber dann haben sie das verstaatlicht. Die alten haben jetzt aber ihre Geschäfte wiedergekriegt. Es gab immer ein paar private Bestattungen, aber sonst nur Filialen vom städtischen Bestattungswesen. Das war alles vom Staat gelenkt. Die Auswahl war nicht so groß, die hatten da drei Särge, ein Standardmodell und das war's. Man mußte Beziehungen haben, damit man was Vernünftiges bekommt. Ohne Beziehungen gab es gar nichts.

Nach der Wende da haben viele gedacht, daß sie einen Laden aufmachen und nach einem halben Jahr Millionär sind. Was hat es da an Geschäften gegeben. Jeder der eine Garage hatte, hat einen Getränkehandel gemacht oder Imbißbude und Videothek. Auch Sexshops, das kannte man hier ja gar nicht. Nun ist der Markt gesättigt.

Der Laden hier hat 15 Jahre leergestanden. Das war früher mal eine Dämpferei oder eine Großbügelei. Wir haben dann alles neu gemacht. öfen abgetragen, Wände rausgerissen. Dusche und Toilette neu reingebaut, alles renoviert, Elektrik und Telefonanlage installiert. Die Tür wurde neu reingesetzt, die Rolläden sind neu rangekommen, das sah wüst aus vorher.

Im Moment ist es im Allgemeinen etwas ruhiger. Man hört ja hier und da mal, was die anderen so sagen. Wenn man einliefert im Krematorium, dann sagen die dort auch, daß es zur Zeit ruhiger ist. Das ist vom Wetter abhängig, es ist zu lange beständig gewesen. Wenn es wieder ständig wechselt, dann geht es wieder los. Aber der Juni und Juli ist immer etwas ruhiger, im Herbst steigt es wieder an. Aber da hat man keinen Einfluß drauf.

Wir haben viel Kunden aus dem Bezirk hier, aber auch aus anderen Bezirken. Da kommt hier und da mal jemand, weil wir recht preiswert sind. Sehr viele sind arbeitslos geworden und müssen so die Preise vergleichen.

Um den Kunden entgegen zu kommen, melden wir bei denen alles ab. Damit die keine Scherereien weiter haben. Die bringen die Papiere und wir übernehmen alles weitere. Das ist schon ein guter Service. Der Kunde ist zufrieden und sagt: Da geh' ich nächstes Mal wieder hin, und das ist ja unser beste Reklame.

Die Firma Weiß hier im Haus hat aufgegeben. Vorher war eine Drogerie drin. Die haben gedacht, mit der Drogerie machen sie zu wenig Geld und mit Bestattungen wollten die wohl mal eben die Kohle abschöpfen. Viele hat das auch abgeschreckt. Vorher Drogerie und jetzt handeln sie mit Leichen. Aber jetzt haben sie eingesehen, daß auch die Bestatter in engen Grenzen leben müssen, auch wenn ein Sarg mal eben sechstausend Mark kostet.

Nur von der Laufkundschaft kann man sowieso nicht leben in dieser Branche. Da muß man schon Kontakte zu Heimen und Krankenhäusern haben, dann Polizei und Kripo und natürlich Werbung machen. Man muß schon was tun. Wenn man aus der Branche kommt, dann weiß man wie das läuft. Gestorben wird immer.

Nach der Wende haben hier im Ostteil viele Bestattungsinstitute aufgemacht. Davon ist aber jetzt schon die Hälfte wieder weg. Wenn man die Erfahrung nicht hat, dann weiß man gar nicht was man zu tun hat. Wenn man jetzt irgendwo jemanden abholt, wenn man von der Polizei einen Sterbefall gekriegt hat und keine Angehörigen da sind, dann muß man wissen, wo man ermittelt und was rausbekommt. Wenn man das nicht hat, liegt der vielleicht ewig herum und nichts tut sich und dann kommt ein anderer Bestatter der das vom Amt gekriegt hat und dann greift der den weg. Man muß schon dranbleiben, damit derjenige unter die Erde kommt. Lange warten darf man nicht und man muß dranbleiben am Nachlaßpfleger, damit man den Auftrag auch behält. Das bringt ja auch nichts, wenn man viel abholt und die gehen dann alle weg zum anderen Bestatter. Da verdient man auch nicht viel. Man muß schnell sein, sonst bleibt so ein Fall einfach liegen.

Wir haben jetzt viele Sozialfälle. In letzter Zeit nimmt das immer mehr zu. Nur Sozialfall, das ist das Butterbrot für nebenbei. Da sind die Preise vorgegeben und du darfst nicht mehr verlangen. Die Gewinnspanne ist da sehr gering.

In Berlin gibt es die meisten Bestatter überhaupt. Der Konkurrenzkampf ist sehr groß, da muß man sich schon durchsetzen können und Kontakte knüpfen. Wenn man da was schleifen läßt, ist man gleich weg vom Fenster. Im Osten ist es da noch schwieriger, weil die Leute nicht so viel Geld ausgeben wollen. Im Westen ist man es gewohnt, daß das Sterben mehr kostet. Da werden ja von Vater Staat auch immer noch Unterschiede gemacht. Im Osten gibt es tausendneunhundertelf Mark Sterbegeld, ein Westbürger kriegt zweitausendeinhundert Mark von der Krankenkasse. Die unsichtbare Mauer steht heute noch. Also kann man hier nicht die Preise nehmen wie im Westteil, weil man weiß, es gibt von zu Hause aus nicht so viel.

Viele lassen sich jetzt auch anonym bestatten, was ja früher nicht gewesen ist. Irgendwo unter dem grünen Rasen, bloß keine Grabstelle kaufen und pflegen. Da haben sie ja auch die Liegezeiten verkürzt. Anonym auf der großen Wiese, da wird ein Loch ausgehoben und der Rasen wächst wieder drüber und keiner weiß, wo derjenige liegt, außer die Friedhofsverwaltung. Da kann dann keiner hingehen und an eine bestimmte Stelle die Blumen hinpacken oder einen Stein hinstellen. Das wird jetzt viel gemacht, das hat zugenommen. Das ist die moderne Zeit. Nach mir die Sintflut. Den Jugendlichen ist das völlig egal, da hat doch keiner Interesse sonntags auf den Friedhof zu gehen. So ist das Leben.

 
Hildesheim 2021