Klaus Dierßen
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Rolf Alpermann
Exotik und Erotik

Von Beruf bin ich Koch. Ich war siebzehn Jahre Küchenleiter in einem renommierten Hotel in Wendefurth. Nach einem Unfall hatte ich ein Wirbelsäulenleiden und konnte nicht mehr lange stehen. Danach habe ich bei der Gebäudewirtschaft in Blankenburg als Verwalter angefangen und dort achtzehn Jahre gearbeitet. Die letzten drei Jahre als Lagerleiter vom Hauptlager.

Dann kam die Wende und da durfte ich als einer der ersten gehen. Es hieß, Lagerwirtschaft brauchen wir nicht mehr, das war's. Nach den vielen Jahren wollten sie mich mit tausend Mark Entschädigung abspeisen. Da habe ich gesagt: "Also Freunde, das könnt ihr mit mir nicht machen." Ich habe mich bei der Gewerkschaft erkundigt. Bei der IG-Bau, da gehörten wir zwar nicht dazu, aber das war ja ein Wirrwarr zu der Zeit. Also mit zwanzigtausend müßt ihr schon rüber kommen. Ein guter Bekannter hat gesagt: "Setz' das hoch an, du kriegst dann die Hälfte." Der Tip war gut, ich habe zehntausend Mark gekriegt. Das haben die natürlich in Raten abgestottert.

Von dem ersten Geld habe ich dann den Zooshop hier aufgemacht, ganz klein, ganz bescheiden. Ich habe ja gewußt, daß ich mit fünfzig Jahren keine Arbeit mehr kriege und ich bin kein Mensch, der Däumchen dreht. Das ist das Problem meiner Generation, der Kriegskinder. Für den Vorruhestand zu jung, für die Rente zu jung, und zu alt zum arbeiten. Aber von irgendwas muß der Mensch ja leben. Und Zoohandel deshalb, weil ich schon immer Vögel gehabt habe. Zur DDR-Zeit habe ich eine Arbeitsgemeinschaft für exotische Stare geleitet. Wir waren nur ganz wenige Zuchtfreunde. Es gab auch mal eine Interessengemeinschaft Weichfresser. Wir waren in der ganzen DDR nur siebenunddreißig Zuchtfreunde. Und in dieser IG hatte ich die Aufgabe die Starenfreunde zu betreuen. Diese Vögel sind ja auch nicht für jedermann etwas. Der alte Rutgers hat einmal gesagt, die Zucht der Weichfresser ist die hohe Schule der Vogelhaltung.

Eröffnet habe ich dann am 1. September 1990. Mit drei Sack Hundefutter, einigen Schachteln Vogelfutter und wenigen kleinen Vögeln. Ich hatte nicht eine Hundeleine und nur Käfige aus DDR-Produktion. Dann habe ich mich langsam durchgewurschtelt. Dabei hatte ich aber auch Tiefpunkte und wollte alles hinschmeißen. Ein sehr guter Freund hat mir aber beigestanden, auch mein Steuerberater hat mir geraten, weiterzumachen. Heute bin ich froh darüber, jeder braucht so seine Anlaufphase. So ist dann dieser kleine Zoohandel entstanden. Jetzt fliegt alles raus, was auch die Supermärkte haben und dann nehme ich mehr Tiere rein. Die Ware muß Geld bringen und darf nicht liegen bleiben.

Aus einer Laune heraus und durch eine spöttische Bemerkung ist dann der Erotikshop entstanden. Ich hatte den Raum noch frei, das war mein Futterlager. Ich habe mich dann mit meinem Bekannten unterhalten und der meinte, ich müsse mir ein zweites Standbein anlegen. Und dann sagte er fast hämisch: "Mach doch eine Erotikshop." Und ich sagte: "Du, die Idee ist nicht schlecht, das werde ich mir überlegen." Und ein halbes Jahr später hatte ich den Laden. Das war im September 1993.

Vor der Wende gab es keine Erotikshops in der DDR. Ein Heft oder Magazin wurde zwischen achtzig und hundert Mark unter dem Tisch gehandelt. Die Menschen in der DDR waren zwar freizügiger, aber es gab weder Hilfsmittel noch Magazine. Manchmal waren in Heften nur mehr oder weniger schöne Mädchen, aber das war eher ästhetisch und nicht erotisch oder pornografisch. Ich habe immer gesagt: "Den Shop hier zu DDR-Zeiten, da hätte ich die Stasi beteiligen können und wäre immer noch ein reicher Mann geworden."

Heute bin ich froh, das gemacht zu haben. Ein zweites Standbein kann man immer gebrauchen. Wer die Möglichkeit hat, sollte sich noch ein drittes anschaffen. Das läuft jetzt ganz gut. Ich habe einen Parkplatz direkt vor dem Haus und liege an zwei Bundesstraßen. Viele fahren hier mehrfach vorbei und dann kommen sie irgendwann mal rein. Und schon habe ich einen Kunden gewonnen. So läuft das. Viele Kunden kommen auch von weiterher.

In der ersten Zeit hatte der Laden den Namen Erotikshop gar nicht verdient. So wenig war drin. Aber die Neugier war da und zur Eröffnung war der ganze Hof voller Fahrzeuge. So langsam habe ich das Ding hochgepäppelt. Der Laden ist schuldenfrei, was man sieht, ist alles bezahlt. Keine Bank, kein Großhandel kann die Hand aufhalten, das ist wichtig für mich. Ich habe viele Stammkunden, ich rede gern mit den Kunden, mache auch mal eine Spaß. Ich versuche nach bestem Wissen und Gewissen zu beraten. Im Zoohandel gelingt mir das ganz gut, im Erotikshop weiß ich nicht, hoffe es aber. Die Kunden gehen aber zufrieden raus und sagen: "Jetzt sind wir schlauer geworden". Und das ist gut so.

Manche Kunden sind noch etwas zögernd. Aber manchmal habe ich auch schon nachgeholfen. Die Hand in den Rücken und reingeschoben. Da mußte er sich dann trauen. Manche rauchen vorher ganz aufgeregt vor der Tür. Und dann wieder rein ins Auto und weg sind sie.

Ich habe erst kurz vor Weihnachten 1989 mein Begrüßungsgeld in Bad Harzburg abgeholt. Alle meine Bekannten waren schon drüben gewesen, aber ich habe mir Zeit gelassen. Die erste Fahrt rüber, das war schon ein komisches Gefühl. Schwer zu beschreiben. Mir stand das Heulen näher als das Lachen. Das man das noch erleben durfte. Das alles unblutig vor sich gegangen ist, mit einer sanften Gewalt. Das war wirklich eine sanfte Revolution, das war schon gewaltig. Als wir vor dem Rathaus standen und auf unser Begrüßungsgeld warteten, da machten die anderen Leute einen teils bedrückten Eindruck. Wir haben uns aber auch wie kleine Kinder zu Weihnachten gefühlt. Die Schaufenster waren so überwältigend, das hat einen ja fast erdrückt. Heute fahren wir dahin, als wären wir schon immer da hingefahren.

Sozial gesehen geht es uns schlechter als zu DDR-Zeiten. Wer früher Schmied gelernt hat, ist nach der Lehre Soldat geworden, hat danach seinen Meister gemacht und ist als Schmied in Rente gegangen. Heute steht doch das alles in den Sternen. Die Rente, die Fürsorge für die Alten, das war früher anders als heute. Junge Menschen sind früher im Bus noch aufgestanden wenn alte Leute reinkamen. Rowdies werden heute doch nach zwei Stunden wieder entlassen. Das Selbstbewußtsein der Jugend ist natürlich heute auch anders. Früher hat man uns das Denken abgenommen. Heute muß jeder selber denken und viele mußten das nach der Wende erst wieder lernen.

Die komplette Wende ist für uns DDR-Bürger zu schnell gekommen. Man hätte zuerst die Reisefreiheit gewähren und ein Handelsabkommen abschließen müssen. Wir sind überrannt worden. Wir hatten auch gute Sachen, nur das hat plötzlich nichts mehr getaugt. Daß ganze Lagerhallen voll Konserven auf den Müll gewandert sind, ist eine Schweinerei. Mein Lager bei der Gebäudewirtschaft ist vierzehn Tage nachdem ich dort weg war auf den Hof geschmissen worden und verrostet jetzt.

Kürzlich habe ich eine Bekannten getroffen. Auch so um die fünfzig. Als ich ihn frage was er jetzt macht, sagt er nur, daß er jetzt auch arbeitslos ist. Und er hatte morgens um acht Uhr schon eine Fahne.

Hast du Geld, kannst du alles kaufen. Hast du kein Geld, bist du der Dumme.

 
Hildesheim 2021