Klaus Dierßen
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Dieter Teichert
Stadtcafé

Mein Name ist Dieter Teichert, geboren 1941. Ich habe erst Kellner gelernt, dann Koch. Habe mich qualifiziert zum Serviermeister. War auf der Hotelfachschule in Leipzig und habe abgeschlossen mit dem Ökonompädagogen in Aschersleben und dem Ökonom für Hotel- und Gaststättenwesen. Ich bin dann damals zur Armee gekommen und habe noch meinen Diplomkaufmann gemacht. Das ist also meine normale Berufsausbildung. Ich bin gebürtig aus dem jetzigen Polen und zwar von Kossen an der Oder. Es ist ungefähr dreißig Kilometer entfernt von der Oder, ehemalig Deutsch-Preußen ...

Die Besitzverhältnisse dieses Hauses waren so: Es gehörte ehemals einem Juden. Der hat es 1936 an die Stadt verkauft, weil er einen kurzen Wink bekommen hat von den Parteigenossen: 'Paß mal auf, verkauf du lieber, Nathan. Du mußt verschwinden. Du bist dran, weil du Jude bist.' Und da er Lieferant für Stoffe und Uniformen der Waffen-SS und auch der SA war, da hat er sich aus dem Staub gemacht. Er hat vorher alles verkauft und damit war die Sache eigentlich erledigt ... Die Russen haben dann hier oben Uniformstücke, auch Nazibilder, Naziflaggen und so weiter gefunden und das ganze Haus abgebrannt ... 1953 ist diese Ruine abgerissen und neu aufgebaut worden ... Später ging dies Ganze an den Staat über. Nach den Recherchen, die wir so angestellt hatten, ist dieses Objekt normalerweise Eigentum des Staates, der das ganze Haus neu aufgebaut hat in eigener Regie. Dann hat das die Allgemeine Versicherung, jetzt heißt sie AOK, früher hieß es Staatliche Versicherung, übernommen. Von der Sozialversicherung aus ging es dann in die Hände der HO über, die Handelsorganisation Senftenberg. Daraus wurde 1972 ein Café gemacht und in diesem Stil, wie es jetzt besteht, groß ausgebaut ... Ich hatte es ein paar Jahre zu betreuen gehabt ... Zuerst habe ich das Objekt ganz kurz '76 gehabt, habe es dann 1977 an meine Gattin übergeben, weil ich "Das Goldende Roß" übernommen hatte ... Zur Wende ist es übergegangen zur Treuhand. Da mußte ich damals einen stolzen Preis von vierundsechzigtausend Mark bezahlen, damit ich den Zuschlag bekomme, um dieses Objekt überhaupt zu pachten. Die Summen der Treuhand waren etwas sehr hoch. Da mußt du außerdem vorher bieten, und wer am meisten bietet, bekommt das Objekt. Ich bin ganz reingegangen – egal: Ich zahle den Höchstpreis, um das zu bekommen. Denn ich hatte die Nachtbar "Das goldende Roß%quot;, und da mußten wir quasi von heute auf morgen raus ...

Durch clevere rechtsanwältische Tätigkeit ist dieses Objekt dann zwischenzeitlich zurückgegangen an die Erben des Juden, die in den Vereinigten Staaten von Amerika, in Deutschland und in Israel leben. Das sind aber keine leiblichen Kinder von dem, sondern von einer Lebenskameradin, die er in der Schweiz oder in Israel kennengelernt hat. Dieser Vermögensanspruch wurde geltend gemacht. Für dieses Objekt gab es kein Grundbuch mehr, sondern nur eine Grundbuchrolle, die im Schloß von Sanssouci lag. Sie ist nun gefunden worden, zu unserer Freude ...

Wir haben natürlich auch schon einen Vertrag gemacht mit dem Vertreter der Erbengemeinschaft und würden also dieses Objekt mit hoher Wahrscheinlichkeit kaufen können ... Jetzt mußte die Stadt Senftenberg es also erst zurückgeben. Dann konnte ich es kaufen ...

Wir hoffen, daß Ende des Jahres dieses Objekt nach dem normalen Parameter einer gastronomischen Einrichtung umgebaut werden kann. Wir haben vor, aus diesem Objekt folgendes zu machen: Wir wollen das ein bißchen variieren und mehrgleisig fahren, wie man so schön sagt. Wir wollen morgens Frühstück, normalen Mittagstisch, dann Kaffee und am Abend das so umstellen, daß wir die Sache quasi ein bißchen zum Tanzbetrieb ausbauen. Also das, was normalerweise als gesellschaftliches Kommunikationszentrum hier in Senftenberg gezeigt werden kann ...

Ich meine, jede Sache hat zwei Seiten und so auch die Wende... Ich bin kein Parteigenosse gewesen, war aber trotzdem für den Staat. Ich meine, im Prinzip, es gefiel mir sehr gut. Man hatte seine gesicherte Existenz und so weiter. Das waren eben die Sachen, wo man sagte, es kann nichts schieflaufen ... Für viele war es natürlich was sehr Positives. Ich meine, es wäre jetzt schon unschön, zu sagen, die Wende war phantastisch... Ich muß ganz ehrlich sagen, es hat doch für mich persönlich jetzt im nachhinein sehr viel Positives gebracht. So würde ich die ganze Sache sehen. Und wenn das mit dem Objekt klappt, dann kann ich sagen, es ist für mich gut gewesen. Also, rein wirtschaftlich stehe ich nicht schlechter, ich stehe ein bißchen besser da ... Ich sage mal eins, für uns alle war es sehr unschön, daß man das gemacht hat, Rückgabe vor Entschädigung. Das hätte wahrscheinlich anders mehr gebracht. Das ist also allgemein der Tenor, der hier herrscht. Ich persönlich bin der gleichen Meinung. Die andere Variante ist, daß es viele Sachen in der DDR gab, die hervorragend waren - vor allem auch die Menschlichkeit. Das Miteinanderleben, das hat sich nun leider etwas im Laufe der Zeit auseinandergelebt. Die ehemaligen Freunde – das ist alles nicht mehr so, wie es mal war. Es wurde zur DDR-Zeit viel Kollegialität in den Vordergrund gestellt. Und das ist nun leider nicht mehr so. Jetzt ist jeder mehr oder weniger seine eigene Person, und erst komm ich und dann alle anderen. Und das hatte man zur DDR-Zeit ganz phantastisch gelöst, das kollektive Zusammenleben. Das haben wir doch alles nicht mehr und wir mußten natürlich in relativ kurzer Zeit mächtig umdenken, und das fiel vielen sehr schwer. Speziell in meiner Generation, die so um die fünfzig sind ... Dieses Haus hat ja ein ganz schönes Vermögen gekostet. Da sagt die Bank: 'Herr Teichert, in Ihrem Alter wissen Sie, das ist sowas von risikovoll für uns ... – dann würden wir sagen: Ihre Gattin, das ist das Günstigste.' So haben wir das dann auch gemacht ... Wir sind also jetzt so Eigentümer dieses Objektes ...

Und dann natürlich etwas, was es in der Bundesrepublik nicht gibt, das Recht auf Arbeit. Das war in der DDR eben obwohl es verdeckte Arbeitslosigkeit war. Es war aber eine ganz sinnvolle Angelegenheit. Keiner blieb zu Hause und hat sich quasi ins Schicksal zu ergeben. Er mußte arbeiten, und wenn er bloß sogenannte Gelegenheitsarbeiten gemacht hat, im Straßenbau, Straße fegen usw.. Das fand ich gut, das sollte man eigentlich als Modell für das Arbeitsamt nehmen. Wär' doch vielleicht mal überlegenswert, genau wie der grüne Pfeil ...

Ich sage, es gab auch viel Gutes in der DDR. Natürlich, es war wirtschaftlich der große Fehler von seiten der DDR, daß man das Privateigentum verboten hat. Hätte man das nicht gemacht, wäre wahrscheinlich vieles anders gekommen in unserem Staat, ehemaligen Staat.

Und das Gute für uns war jetzt eben, daß man sich beweisen und sich durchbeißen mußte. Ich meine, viele sahen sehr rosarot. Durch die ganzen Massenmedien hatten wir einen anderen Eindruck von der Bundesrepublik gehabt. Nicht diesen, den wir jetzt gewonnen haben. Gutes und auch vieles Negatives ... Es gibt natürlich eins, das Reisen. Ich hatte Glück gehabt mit dem Sport. Ich war fast in allen Ländern Europas gewesen, weil ich immer aktiv Sport betrieben habe. Ich habe geboxt, bin deutscher Meister im Fliegengewicht gewesen und war damals eineinhalb Jahre in die Nationalmannschaft gewählt. Und dann bin ich eben viel rumgefahren ... Ich habe 1954 mit dem Boxen angefangen, wurde dann auf Anhieb gleich im selben Jahr noch Bezirksmeister und dann DDR-Juniorenmeister ... Mit achtzehn bin ich sportlich in die Nationalmannschaft gekommen und von da aus dann gleich rübermarschiert, gleich bei einem meiner ersten Kämpfe in der Nationalmannschaft ... Leider bin ich damals mit der Nationalmannschaft über Finnland in die BRD emigriert ... Ich habe drüben bei so einer sportstützenden Firma, in einer Nachtbar in Frankfurt, auch in anderen Gaststätten und in Berlin ganz kurzzeitig in einem englischen Jagdclub gearbeitet. Hab' also dort in der Gastronomie meine ersten Sporen verdient mit achtzehn Jahren damals. Habe dann ein Weilchen geboxt und bin wieder zurückgekommen, kurz nachdem die Mauer 1961 stand ... Und zwar bin ich zur Beerdigung meiner Mutter hergekommen und da hatte man mir gesagt: Paß mal auf mein lieber Freund Dieter, wenn Du hierbleibst, dir erwachsen keine Schwierigkeiten. Alles, was Du mal hattest, garantieren wir Dir wieder. Und ich muß dazu sagen, unser Staat, der DDR-Staat, war sehr großzügig gewesen. Er hat alle Versprechungen, die er mir zugesagt hat, auch eingehalten. Ich durfte dann studieren, was ich vorher nicht durfte, weil mein Vater kein Arbeiterkind und ich kein Arbeitersohn war ... Ich war dann auch anschließend im ASK, Arbeitersportclub gewesen, bin zur Armee eingezogen worden und habe es dort zum Armeemeister gebracht. Ich mußte dann natürlich von diesen bundesdeutschen Dingen abschwören und durfte auch nicht mehr drüber sprechen ...

 
Hildesheim 2021