Klaus Dierßen
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Brigitte Fuchs
Farben Fuchs

Ich bin seit 1966 hier, da habe ich angefangen zu lernen. Das nannte sich damals Konsumgenossenschaft Sangerhausen. Es war 'ne Fachdrogerie mit Fotolabor. Hier unten war Drogerie und die Treppe hoch war die Farbenabteilung.

Ich glaube 1972 ist der Laden dann geteilt worden. Die Farbenabteilung konnte das Aufkommen nicht mehr fassen, das war zu klein geworden da oben.

Dieser Laden ist dann ganz Farbenladen geworden. Was Drogerie war, ist dann runter in die Goepenstraße gekommen. Durch die Teilung ist natürlich die Umsatzentwicklung geplatzt. Wo ich hier angefangen habe als Chef, da haben wir einen Umsatz gehabt von 700.000 Mark.

Jeder Laden hatte seinen Leiter und es gab die zentrale Leitung. Unsere Konsumgenossenschaft hatte praktisch alle Branchen, aber vorwiegend Lebensmittel. Das teilte sich in Lebensmittel und Industriewaren und wir gehörten zu Industriewaren. Es gab praktisch nur zwei Eigentumsformen HO und Konsum oder halbstaatlich. Die Halbstaatlichen mußten sich auch jemandem anschließen, entweder HO oder Konsum, sonst wurden sie nicht beliefert.

Einmal haben wir die Kontaktringauszeichnung gekriegt. Wir sind dann vorrangig beliefert worden. Und das ist nachher so explodiert, sie sehen es ja an den Angestellten, die wir hatten. Wir haben es kräftemäßig auch nicht geschafft. Wir waren praktisch der einzige Laden in Sangerhausen und im Kreisgebiet der größte. Da können sie sich vorstellen, was wir gebuckelt haben. Wir haben alle vierzehn Tage Tapeten gekriegt, wir haben in vierzehn Tagen 300 Ballen Tapete verkauft, also im Monat 600 Ballen. Und das ging über die Kräfte. Nirgendwo gab es was, wenn es was gab, nur bei uns.

Wir haben uns auch gut verstanden und viel gefeiert. Das war sozialistisch angeordnet, hat aber trotzdem Spaß gemacht.

So, und nach der Wende sind unsere feinen Chefs auf die Idee gekommen, sich bezirklich zu organisieren. Das sollte angeblich Kosten sparen.

Zu uns kamen natürlich gleich nach der Wende die ersten Vertreter. Unsere Betriebsleitung das waren damals natürlich alles Genossen. Ich war nie drin, ich war immer unbequem. Jetzt zum Schluß hat mir eine Chefin gesagt, mein Fehler war, ich habe gesagt was ich dachte. Und das war ein Fehler damals.

Wir haben schon frühzeitig gemerkt, wie wir verklapst wurden. Wenn zum Beispiel Weihnachten gewesen ist, da haben sie hier oben im Kulturhaus immer so Sonderverkäufe gemacht und da hieß es dann ab November, was so Raritäten waren: es muß alles liegen bleiben. Da haben wir praktisch alles liegen gelassen und zu den Leuten haben wir gesagt, es ist nichts da. Und das ist mir gegen den Strich gegangen. Dann haben wir diese Sonderverkäufe dort veranstaltet, da kam erst der Rat des Kreises und da hieß es weiter: die Raritäten bleiben alle unten, obwohl die Leute schon da waren. Und mir hat's gewürgt im Hals, da hab' ich zu meiner Chefin gesagt, hört auf die Leute zu verklapsen. Ich sage, die Leute sind doch auch nicht dumm.

Und hier kamen uns nun die Vertreter 'rein und haben uns Angebote gemacht und wir durften nicht. Da hieß es, wehe ihr macht mit den Westvertretern. Man hatte immer so den Eindruck, daß die das gar nicht wahrhaben wollen, daß die Wende da war.

Der Vertreter von dieser Firma mit dem bin ich heute noch bekannt. Da hatte ich den Eindruck, der war nicht darauf aus, mir Ware zu verkaufen, das war der erste, der mich über die Marktwirtschaft aufgeklärt hat. Und den wollte ich nicht verlieren.

Und immer hieß es von der Betriebsleitung: Nein, Ihr dürft nicht, Ihr dürft nicht. Und da hab' ich gedacht, das kann doch wohl nicht wahr sein. Die Wende ist da, wir kriegten keine Ware mehr, wir standen im leeren Laden.

Die anderen, die alle nicht durften, die standen nach der Wende wo's dann losging, ich weiß nicht, was war das für ein Tag, ich glaube der 1. Juli, wo dann die D-Mark da war, die standen in leeren Läden und die haben geheult. Die hatten nichts zu verkaufen und wir waren einige der wenigen, wir haben volles Sortiment gehabt.

Von dem Zeitpunkt an, wo der Konsum den Bach 'runterging, hab' ich mich dann beworben um den Laden und das war wiederum auch nicht so einfach.

Und von da ab habe ich gekämpft. Das ging in die Stadtverordnetenversammlung, denn der Vermieter ist die Stadt. Was wir machen konnten, haben wir gemacht. Wir haben eine Unterschriftensammlung gemacht und wir waren eigentlich auch schon zu DDR-Zeiten beliebt. Der Laden soll was anderes werden, geben Sie uns Ihre Stimme. Und innerhalb von zwei Wochen hatten wir über 300 Unterschriften, daß der Laden eben erhalten bleibt. Und das war, finde ich, auch ausschlaggebend, daß wir ihn gekriegt haben. Dasselbe Team, dasselbe Sortiment an selber Stelle.

Und ich muß 'mal sagen, wir waren eben dadurch daß wir uns schon so lange kennen, wir waren auch schon zu DDR Zeiten ein gutes Kollektiv. Ich bin tolerant gewesen damals als Chef und jetzt auch noch. Ich bin da nicht so'n Chef jetzt hier, wie soll ich sagen, wie ein Despot.

Der Kontakt zum Kollegen, man trifft sich auf der Straße, sagt, wie geht's, meistens fragt man: Haste noch Arbeit? Wo wir sonst gesagt haben, was haben wir denn sonst gesagt? Wie geht's Dir?

Jetzt fragt man als erstes: Haste noch Arbeit?

Zum größten Teil traut man sich gar nicht mehr zu fragen, denn die die arbeitslos sind, wenn man die Antwort kriegt, da weiß man nicht mehr, was man sagen soll.

Das erste halbe Jahr bis nachher die Ware bezahlt war habe ich fast keine Nacht geschlafen. Ich habe nur gerechnet. Wenn ich aufgewacht bin, habe ich gerechnet ob ich hinkomme, also das war die größte Angst. Das hat sich ja nun ein bißchen gelegt. Wir hatten vor jedem neuen der aufgemacht hat Angst. Zuerst der Baumarkt, da bin ich hingerannt und habe geguckt. Diese Preise. Und da hat mich der Vertreter immer wieder beruhigt. Ihr habt andere Stärken, ihr beratet. Ihr seid für den Kunden da. Das sind die im Hagebau nicht, das hören wir jetzt auch immer von den Kunden. Da sparen die manche Mark und schmeißen die auf der anderen Seite wieder raus, weil sie was verkehrt gekauft haben.

Und ich bin eben immer bestrebt. Ich weiß, was ich für Kosten habe, die ich eben erwirtschaften muß. Und vor Weihnachten laufen die Bilder eben wunderbar als Geschenke. Und ich bin eben immer auf der Suche nach neuen Dingen.

Wir suchten krampfhaft unsere Ostprodukte, war aber ja nichts mehr da. Und jetzt kommen sie wieder. Wir haben jetzt einige Dinge wieder drin und die Nachfrage ist massiv nach Ostprodukten. Was wir zu DDR Zeiten gar nicht hatten und nicht kannten, daß nach dem Tapezieren gelbe Flecken kommen. Der Maler sagt, das liegt am Papierbrei, den die da reinmischen, aber das kann ich doch den Leuten nicht sagen. Da komm' ich ja vor Reklamationen nicht raus. Und deshalb sind wir massiv auf der Suche nach Ostprodukten, Osttapeten. Aber ob die jetzt nach den Methoden arbeiten wie es damals war, das ist die zweite Frage. Aber nach der Wende, da nehme ich mich nicht aus, wir wollten unseren Kram nicht mehr. Und jetzt suchen wir ihn.

 
Hildesheim 2021