Klaus Dierßen
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Inge Pohl
Goldschmiedemeisterin

Geboren bin ich schon 1940 – nicht mehr ganz jung. Gelernt hab' ich Goldschmied. Ich habe meine neunte und zehnte Klasse nachgeholt, um dann meine Meisterprüfung machen zu können, und nenne mich jetzt Goldschmiedemeister.

Zu DDR-Zeiten war es so, daß wir dort, wo wir gewohnt haben in Schipkau, das ist acht Kilometer von Senftenberg, auch ein kleines Geschäft hatten. Ich durfte allerdings nur den Schmuck verkaufen, den ich selbst angefertigt hatte. Wir hatten dort kein richtiges Geschäft, es wurde ein Wohnzimmer als Laden ausgebaut und der Stall wurde die Werkstatt ... Wir haben uns das eigene Haus noch selber gebaut. Wir haben Abrißhäuser gekauft, denn durch den Tagebau wurden einige Ortschaften direkt weggebaggert. Also haben wir Abriß gemacht, bevor die Kohle durchzog. Davon haben wir das Material genommen und haben uns wieder ein neues Haus aufgebaut. Meine Eltern haben mit dreiundsiebzig Jahren noch den Dachstuhl runtergeholt, weil es ja kein Material zu kaufen gab. Das haben wir alles noch zwischendurch gemacht ...

Nach der Wende haben wir uns gedacht: Das bringt uns in Schipkau nichts mehr, wir müssen irgendwo in die Stadt. Und da hatte ich mich dann um den Kunstgewerbeladen hier in Senftenberg beworben, den ich dann letztendlich auch bekommen habe ... Ich möcht' sagen, es war riesengroßes Glück, daß wir den Laden bekommen haben ... Da ich aber die Auflage von der Handelsorganisation HO hatte, den Laden so zu übernehmen, wie er jetzt ist, mit Geschenkartikeln und auch mit den vier Verkäufern, mußte ich das Sortiment erst mal so behalten für ein Jahr. Nach der Wende, da lief der Schmuck auch nicht so. Jeder hatte sich billig Sachen gekauft, ist ja auch ganz verständlich, so daß mein Schmuck ein bißchen untergegangen ist ...

Ich habe unsere Produkte gleich zu Anfang dringehabt, Töpfereien und Sachen vom Kunstschmied. Später sind unsere Thüringer gekommen mit der Glasbläserei, die Leute aus dem Erzgebirge und Klöppelspitze aus Plauen.

Von der HO mußte ich letztendlich Übertöpfe übernehmen, die ja gar nicht in den Kunstgewerbebereich g ehören. Neu reingekommen sind Bilder, so richtig gemalte Bilder und dann Drucke, auch Heimtextilien ... Das sind alles unsere Firmen, weil ich mir sage, die Qualität ist sehr gut gewesen und die ist heute auch noch gut ...

Ich habe meine Lehre 1954 hier in der Stadt bei einem Goldschmiedemeister angefangen und habe mich dann 1979 selbständig gemacht. Mein Mann, mein Sohn und meine Eltern hatten mich ermutigt, von meinem alten Betrieb wegzugehen. Meine Familie hat zu mir gesagt: "Also das, was du dort arbeiten mußt, das kannst du auch alleine machen." Hier in Senftenberg, wo ich auch gelernt hatte, bin ich eigentlich das ganze Leben lang geblieben, weil hier im Umkreis na von vierzig Kilometern nur ein einziger Goldschmied gewesen war ...

Dann war es notwendig, daß ich zu meiner Meisterprüfung die neunte und zehnte Klasse nachholen mußte ... Habe auch den Vorbereitungskurs zur Meisterprüfung absolviert, dann die Meisterprüfung selbst abgelegt ... Das war eine Auflage vom Rat des Kreises. Sie haben gesagt: "Jawoll, Sie können sich selbständig machen, aber unter der Bedingung, neunte-zehnte Klasse und die Meisterprüfung." ... So bin ich wochenweise an zwei Tagen zur Schule gegangen, von mittags bis abends um zehn. Dann habe ich den Grundlagenlehrgang angefangen für die Meisterprüfung. Ich bin dann auch montags und sonnabends den ganzen Tag in die Schule gegangen und wochenweise nach Dresden, um mein Meisterpraktikum zu machen ... Das habe ich zwischenzeitlich gemacht und war dann regulär selbständiger Unternehmer ... Nach 1979 fing es wieder an, daß man gemeint hat, man braucht den Handwerker. Und dann hat sich das so entwickelt, daß sich doch einige selbständig machen konnten ...

Also parteilos war ich mein ganzes Leben lang und bin ich es jetzt auch noch. Als ich meinen Antrag gestellt habe, daß ich mich selbständig machen will, haben die mich geprüft bis auf die Knochen, aber ich hatte überhaupt keine Hottelei gehabt ...

Wir haben damals eine Preisliste bekommen von der Handwerkskammer beziehungsweise von der Berufsgruppe. Diese Regelleistungspreise galten für den ganzen Bezirk Cottbus, und da durfte nicht eine Mark mehr genommen werden. Ich hatte damals einen Stundenlohn von Viermarkneunzig. Der steigerte sich mal auf Sechsmarkzwanzig, aber wie gesagt, Regelleistungspreise. Das bedeutete eben, eine Kette oder einen Ring zu löten nach dem Regelleistungspreis ...

Ich bin in der Handwerkerrolle eingetragen, weil ich meine Meisterprüfung gemacht habe. Der eigentliche Handel ist jetzt erst dazugekommen, und vorher habe ich ja nur das verkauft, was ich wirklich angefertigt habe und die Reparaturen, die gemacht werden konnten. Erstmal ist es so gewesen, daß man irgendwo gebunden war mit der ganzen Anfertigung von Schmuckstücken, denn wir haben damals das Gold nur zugewiesen bekommen. Und das war ja nicht so viel. Außerdem mußte es immer für ein halbes Jahr reichen. Da konnte man keine großen Schmuckstücke anfertigen. Es sei denn, der Kunde hat mal Material gebracht ... Dann wurde die Stundenzahl genommen – meinetwegen zwanzig Stunden – , das wurde kalkuliert mit dem Stundenlohn. Dann sind da noch die Gemeinkosten hinzugekommen, das bedeutet Licht, Wasser und die Miete ... Denn das Material war ja recht teuer gewesen. Das kam dann einmal zweihundert fünfzig Mark und dann ist es noch mal runtergegangen auf zweihundertzwanzig das Gramm Feingold ... Wir hatten zwar das Glück gehabt, daß vieles in der BRD nicht repariert wurde, wo wir uns wieder gesagt haben, na gut, das können wir alles reparieren. Davon hatte der Kunde was gehabt, und wir hatten unser Geld gehabt. Ich kann mich da nicht beklagen. Also ich hatte immer Arbeit und immer viel ...

Mein Sohn ist auch Goldschmied geworden. Er konnte zum Glück dieses Grundstück mit dem Laden in Senftenberg kaufen. Und dann wird es natürlich die Zeit mit sich bringen, daß wir eine Grundrenovierung machen, vom Dach angefangen, über neue Schaufenster rein, neue Türen, bis hin zum Keller. Es kommt auch eine Gasheizung. Dann wollen wir's natürlich so machen, daß der Laden geteilt wird. Eine Seite bekommt mein Sohn und die andere Seite nehme ich. Ich müßte dann eventuell noch den Keller nutzen. Der wird ganz neu gemacht als Verkaufsraum. Da wird 'ne kleine Galerie reingemacht. Dann werden unten separat die Bilder verkauft oder oben und unten dann die Geschenkartikel. Dadurch, daß ich ja nun schon etwas älter bin, habe ich den jungen Leuten natürlich den Vorrang gelassen mit dem Schmuck, ist ja ganz logisch. Und wie gesagt, wir machen das andere weiter mit meinem Mann, der Vorruheständler ist. Ich bin der Meinung, daß wir das irgendwie packen ...

Vorgesehen ist, daß wirklich untereinander geholfen wird, daß wir erstmal die ersten zehn Jahre weiterkommen und daß wir dann sehen, wie es wirklich weitergeht. Es ist ja schon fast so, daß ich wieder Rentnerin bin. Soviel Zeit hat man ja nicht mehr, das ist das Problem. Dazu ist man dann leider zu alt. Und mein Mann wird im nächsten Jahr schon Rentner ... Also ich muß sagen, wenn die Familie zusammenhält, sich gut versteht, dann läuft das auch ... Im übrigen bin ich sehr optimistisch. Ich habe nicht viel verdient, aber über alles liebe ich meinen Beruf. Wenn die anderen spazierengehen, dann geh' ich eben in die Werkstatt. Ich hatte eben bereits 1979 das große Glück, daß ich mich schon selbständig machen konnte.

 
Hildesheim 2021