Klaus Dierßen
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Elke Hielscher
FORUM Veranstaltungszentrum

Ich bin Geschäftsführerin, wurde 1944 in Zuckmantel/Oberschlesien geboren, bin aber in Sachsen aufgewachsen, habe Abitur, Facharbeiterausbildung als Kellner, Hochschulabschluß als Lebensmitteltechnologin und Fachschulabschluß als Technologin im Gaststättenwesen. Ich habe als Berufsschullehrerin gearbeitet und bin dann als Geschäftsführerin hier gelandet. Ich war sechs Jahre Berufsschullehrerin in der Erwachsenenqualifizierung, habe Küche, Kellner und Küchenmeister, Serviermeister ausgebildet, ohne jemals selbst kochen zu können. Was ein Meisterwerk ist, Köche auszubilden, wenn man es nicht kann. Das war aber nicht so schlimm. Denn ich hab' denen nicht das Kochen beibringen müssen, vielmehr Ernährungslehre gemacht, Mikrobiologie, Rohstofflehre, Technologie, Maschinenlehre. Also, ich habe mich auf die Theorie beschränkt. Aufgehört habe ich aus verschiedenen Gründen. Ich habe dann in einem Interessensverband gearbeitet, es war der Kooperationsverband, der Betriebsküchen betreute ...

Ich habe die Wende nicht für möglich gehalten. Es war abzusehen, daß die DDR wirtschaftlich nicht würde Bestand haben können. Man hat es aber auch in meinem Bekanntenkreis nicht für möglich gehalten, daß die Wende politisch möglich würde. Man war der Meinung, wir müßten uns hier einrichten fürs Leben. Ich habe auch keine Lust gehabt, nach dem Westen zu gehen. Es war nicht das Wunschland für mich. Ich war hier kein begeisterter DDR-Bürger. Aber die Alternative, dann lieber Bundesbürger zu werden, war für mich nicht akzeptabel ...

Ich war in meinem ganzen Leben nie in der Partei. Ich komme aus einer mehr bürgerlichen und christlichen Familie und war politisch überhaupt nicht engagiert. Deshalb hatte ich auch beruflich überhaupt keine Chance. Die Arbeiten, die ich gemacht habe, waren immer dritt- oder viertklassig. Das Beste, was mir passieren konnte, war die Wende und das Bewußtsein des Berufs. Ich habe hier das erste Mal in meinem Leben einen richtigen Beruf. Ich kann was bewegen ...

Ich wollte eigentlich eine eigene Firma gründen. Fast genauso in der Art, wie ich das jetzt auch mache. Das wäre auch gegangen. Aber, wie das so ist, mit fast fünfzig Jahren und ohne Geld im Hintergrund und einer Vergangenheit als DDR-Bürger, da habe ich zum Schluß einfach nur noch rot gesehen. Ich hätte das machen sollen. Es wäre haargenau die gleiche Firma, aber es wäre meine. So bin ich Geschäftsführerin. Wir sind eine GmbH, wirtschaftlich und rechtlich sind wir hier selbständig. Das Haus hier in Chemnitz ist ja nur ein Teil des Ganzen. Es sind Betriebsrestaurants und Betriebsküchen. Die sind das eigentliche Geschäft. Ursprünglich wollte ich mit einer Kollegin eine Firma gründen. Da hatten wir jede Menge Leute eingeladen, die wir als potentielle Vertragspartner oder Kunden gewinnen wollten. Dazu hatten wir, das wollte der Zufall, auch unsere jetzigen Gesellschafter mit eingeladen.

Als ich Geschäftsführerin wurde, da gab es hier nichts. Ich bin beauftragt worden, hier in Chemnitz eine Firma zu gründen mit dem Startkapital von fünfundsiebzigtausend Mark und sonst überhaupt nichts. Das Ziel war, Betriebsverpflegung bereitzustellen und anzubieten.

Dies war vorher ein Haus vom Rat des Bezirkes und der SED Bezirksleitung. Das war's schon immer. Es war immer ein Mitarbeiterrestaurant, und hier in der oberen Etage wurden Feste und Feiern veranstaltet - Parteitage, Parteiveranstaltungen, Aktivisten wurden hier geehrt. Jede politische DDR-Größe, die es gab, ist hier in diesem Haus schon gewesen und wurde geehrt. Man kam hier normalerweise überhaupt nicht rein, es sei denn, sie wären Aktivist geworden oder hätten irgendeinen Orden bekommen. Es war niemals ein Haus des Volkes, es war ein Parteihaus. Es ist gebaut vor zwölf Jahren, 1983. Die Chemnitzer durften früher nicht hinein und die haben auch jetzt keine Lust hineinzugehen. Wir leiden ein wenig unter der Geschichte dieses Hauses. Im Restaurant unten ißt man nur, wenn man Hunger hat. Das ist tatsächlich so.

Wir würden es gerne umbauen, ein richtiges Restaurant draus machen. In dem Haus waren vorher Heerscharen von Leuten beschäftigt. Es waren einhundertvierunddreißig Mitarbeiter. Es hat da ganze Gänge gegeben mit großen Personalbüros. Wir machen mittlerweile das Gleiche mit nur sechsundzwanzig Mitarbeitern. Als wir hier angefangen haben, hatten wir sechsunddreißig von den bisher vorhandenen Mitarbeitern übernommen. In erster Linie würden wir den Speisesaal und das Restaurant machen. Ich würde den Hallencharakter zerstören und einen Restaurantcharakter hineinbringen, kleine Bereiche schaffen, in denen man sich ein bißchen wohlfühlen kann. Es ist kein schlechtes Haus. Es hat ein paar häßliche Ecken, aber es hat auch ein paar schöne Seiten. Ich glaub' auch nicht, daß es erst schön wird, wenn es dann erst anders ist. Ich würde es bei kleineren Veränderungen belassen ...

 
Hildesheim 2021