Klaus Dierßen
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Hans-Joachim Schwabe
Fotografenmeister

Geboren bin ich 1929 in einem Nachbarort von Sangerhausen. Ich bin Waage, Waagen sind immer vorsichtig.

Ich hatte früher nie die Absicht, das Geschäft mal zu übernehmen von meinem Vater. Ich bin die dritte Generation. Seit 1890 hatte es mein Großvater bis 1928 und dann mein Vater bis er 1950 gestorben ist. Ich hab' auch mal die Meisterprüfung gemacht. Das war 1954.

Ich wäre zwar liebend gern rausgegangen, aber mein Vater war seit '48 krank. An sich wollte ich was ganz anderes machen. Vielleicht studieren, ich habe ja mal Abitur gemacht.

Ich wollte eigentlich Zahnmedizin studieren. Das ist nie was geworden. Das war der Zwang der Umstände, ich war der einzige. Ich hätte ohnehin, wenn ich das Studium hätte beginnen können, nicht ne' müde Mark Stipendium gekriegt.

Ich hatte immer'n falschen Vater. Der war Handwerker, und da kriegte ich nichts. Und im Sozialismus war's dann nachher noch schlimmer ... Es ging dann alles auch holterdipolter. Ich hatte noch nicht 'mal die Gehilfenprüfung, als mein Vater plötzlich starb. Den Namen gab meine Mutter her. Die durfte das noch ein Jahr machen. Ich kriegte dann die Auflage, den Meister zu machen. Das war natürlich alles viel zu schnell und zittrig, aber es mußte halt sein.

...

Wir haben seinerzeit Industrieaufträge gemacht hier für die Werke. Aber das ist dann im Laufe der Zeit immer weniger geworden. Was wir viel hatten, das waren Paßaufnahmen und große Portraits. Ich hab' im Jahr meistens so an die zweitausend Portraits gemacht. Davon können wir heute nur träumen, sowas gibt's ja überhaupt nicht mehr. Heute ist es 'ne Frage der Kosten, das war damals alles spottbillig aus heutiger Sicht. Für Paßbilder Zweimarkundzwanzig oder drei Freundschaftsbilder für Dreimarkundachtzig oder so. 9 x 11 Zentimeter waren sie damals ...

Wir haben neunzig Prozent 'Portrait' gemacht, es war ja kein anderer da. Und jetzt ist es ähnlich, obwohl sich natürlich die Voraussetzungen völlig geändert haben. Es gibt nur noch einen Berufskollegen hier. Aber Atelier macht er gar nicht. Das ist es auch, was ich so ein bißchen stark vermisse. In den vergangenen Jahrzehnten waren wir – damals sagte man Berufsgruppe - eine verschworene Gemeinschaft. Also einer für'n andern, das war ganz klar. Wenn der was Neues wußte und da gibt's das und das, dann wurde untereinander telefoniert und dann lief das. Man mußte vierteljährlich Materialplanung machen, denn sie kriegten sowieso immer bloß die Hälfte. Wenn sie Pech hatten, kriegten sie mal alles, dann war's natürlich zu viel ...

Kameras, Papier, also das war alles zusammengefaßt in einem Kombinat, das federführend war. Kameras, das war Dresden, die lieferten aber an uns nicht direkt. Das ging dann über'n Chemiehandel. Und die versorgten uns mit Chemikalien, mit Papier und mit Filmen. Dann gab's noch das Maschinenbaukontor in Leipzig. Die belieferten uns mit Geräten – falls vorhanden. Die bestellte man und das konnte Jahre dauern, ehe man sie bekam. Die Geräte waren fast immer tschechische oder polnische Geräte ...

Also, Fachgeräte gab's gar keine, das waren alles solche für Amateure. Die tschechischen, die war'n ja nicht schlecht, aber für Dauerbetrieb? Aber was wollten 'se machen, andere gab's ja nicht...

Wir gehörten als 'Versorger der Bevölkerung' beim Rat des Kreises zur öVW, der örtlichen Versorgungswirtschaft. Wir wurden immer geschoben. Dann gab's ja Plansoll, im Jahr meinetwegen hundertachtzigtausend Mark. Na, die brachten wir ja locker. Und dann mußten die Preise immer gleich sein, da gab's keine Diskussionen: Expressbilder für Zweimarkundfünfzig schwarz-weiß. Da kommen heute noch oft die Leute: Ach, ist das teuer, früher haben wir soundsoviel bezahlt ...

Sie mußten eine Genehmigungsnummer haben, die mußte auf jedem Bild sein. Aber Vorschriften hat man uns eigentlich nicht gemacht. Also jedenfalls nicht, daß ich wüßte ...

Naja – wissen Sie – es gab viele Beschränkungen. Sie durften keine Eisenbahnanlagen fotografieren, sie durften auf'm Bahnhof nicht fotografieren, sie durften nichts fotografien, wo irgendwie die sowjetischen Truppen oder Anlagen davon drauf waren. Das war alles verboten. Aber das ist ja westlicherseits auch nicht anders gewesen. Aber ansonsten mußte jeder Abzug gestempelt werden. Das Standardformat war damals 7x10 Zentimeter. Da wurde jedes Bild automatisch gestempelt, die Auftragsnummer, die Firma und, wie nannte sich das so schön, die Registriernummer. Es war Gesetz, das ist geblieben bis zur Wende.

Man hatte sich daran gewöhnt ...

Ich habe bis zum Übergang in die D-Markwirtschaft acht Angestellte gehabt. Vier Laboranten, eine Fotografin, eine Reinigungskraft und zwei Hilfskräfte. Wir war'n wie eine Bilderfabrik. Also, das kostete doch alles auch nichts. Das war denn nicht mehr...

Ich bin immer selbständig gewesen. Erst einmal hab' ich jetzt die Angestellten nicht mehr, die könnte ich heute gar nicht mehr bezahlen. Denn die haben früher im Durchschnitt – sagen wir mal – sechshundert bis siebenhundert Mark verdient, die würden heute das Vierfache verdienen. Da habe ich erstmal 'ne Zeit lang meine Leute – Kurzarbeit null – entlassen müssen. Das war nicht so einfach, denn ich hatte welche dabei, die waren zwanzig oder dreißig Jahre bei mir. Ja, für die war das bitter. Das hat mir auch sehr Leid getan. Die meisten haben jetzt gar nichts ...

Früher waren wir zwei Fotografen hier in Sangerhausen, dann waren wir mal kurze Zeit zu dritt und dann hat der eine aufgehört und der andere, mein Mitkollege hier, der war noch so eingerichtet wie um die Jahrhundertwende, der starb dann. Und plötzlich war ich der einzige. Und daran hat sich bis zur Wende nichts geändert ...

Die Wende – also überrascht waren wir. Damit hatte niemand gerechnet. Neunundachtzig fing das an mit diesen Montags-Demos. Naja, man hat sich gewundert, daß es überhaupt ging. Da sagte mein Schwager von drüben: Weißt du, im nächsten Jahr kannst du uns besuchen, da brauchst du keinen Paß mehr. Und er hat recht gehabt. Ich habe damals darüber gelacht ...

Ja, wissen Sie, ich bin an sich immer so'n bißchen national eingestellt gewesen und auch so erzogen worden. Ich hab das als großes Glück empfunden. Ich habe gesagt: Leute, es ist alles gut und schön, ihr könnt jetzt reisen, wohin ich wollt! Nur ihr dürft nicht vergessen, ihr müßt bezahlen können. Das hatten nämlich sehr viele vergessen ...

Zunächst war ersteinmal Stagnation und dann ging's ganz ungeheuer los. Da wurden Polaroid-Kameras angeschafft. Ich konnte gar nicht genug ranschaffen, wie ich verkauft habe. Wir haben davor kaum was verkauft, ein paar Farbfilme, mal ein paar Schwarz-Weiß-Filme. Jetzt wurde das natürlich groß, und da war dann der Umsatz entsprechend hoch. Aber das ist dann wieder abgeklungen, heute ist das alles gesättigt. Das war '90, das war noch '91 und dann ging's abwärts ...

Ich war den Verkauf früher gar nicht gewöhnt. Das kam eigentlich gar nicht vor. Ich meine, im Gegensatz zu manchen anderen Berufskollegen, die hier schon immer nebenbei Handel gehabt haben. Aber das war natürlich auch minimal, so groß war das Angebot nicht. Meine Frau hat übrigens auch Fotografin gelernt. Zwei Töchter habe ich, die Fotografinnen sind. Die jüngste macht hier weiter. Zunächst wird sie erstmal Mieter, denn von meinen Kindern wollte niemand dieses Haus haben. Wenn ich das so überrechne, kann ich es verstehen. Denn jeder, der das Haus übernimmt, muß seine Geschwister finanziell auszahlen. Und dann muß er das Riesending renovieren. Da wird 'ne Million draufgehen. Man würde sich so riesig verschulden, daß man nie wieder froh würde. Und so rosig sehe ich die Fotografie nicht, jedenfalls die gewerbliche.

Es ist verkauft und ich gehe in Rente. Aber ich werd' bei meiner Tochter ein bißchen Angestellter mimen. Werd' noch ein wenig die Rente aufbessern, denn so gewaltig ist die nicht ...

 
Hildesheim 2021