Klaus Dierßen
Home / Passage Projekte / Angesehen (Inhalt) / Seite 27 von 147
 

Erika Grempler
Haushaltswaren

Seit 1978 bin ich Gewerbetreibende in Quedlinburg, wo ich 1950 auch geboren bin. Meine Ausbildung ist Handelskaufmann. Ich bin 1970 zum Studium vier Jahre nach Dresden mit dem Abschluß 'Ökonom' gegangen ...

Ich war früher als Abteilungsleiterin im Großhandel. Ich habe da eine Kundin gehabt, die bei uns abgekauft hat. Ihr gehörte dieses Geschäft. Sie war Rentnerin, vierundsiebzig Jahre alt. Ich habe sie einfach mal gefragt, wie lange sie das noch machen möchte. Ich könnte sie doch ablösen. Natürlich gab es da allerhand Probleme von Seiten des Staates. Aber die mußten eben bekämpft werden. Denn eigentlich konnten nur die Familienangehörigen oder Kinder den Laden weiter betreiben. In meinem Fall wurde eine Ausnahme genehmigt, und ich konnte das trotzdem übernehmen. Denn sonst wäre das Geschäft geschlossen worden, und das wollten sie auch nicht, weil es eben Tradition hatte ...

Wir nannten uns damals HO-Kommissionär. Es gab praktisch einen Teilhaber, die HO, diese staatliche Firma 'Handelsorganisation'. Die Kaution, die man hinterlegen mußte, war damals fünfzehntausend Mark, eine Sicherheit für die HO, weil die HO die Ware abgerechnet hat. Aber wir mußten sie selbst einkaufen. Nur die Rechnungsbezahlung lief über die HO. Das heißt also, wir hatten einen Warenbestand von circa vierzigtausend Mark. Dieser wurde von der HO finanziert. Wir kriegten eine Provision im Monat als Gehalt. Inventuren wurden auch von denen durchgeführt. Unangemeldet! Preiskontrollen wurden unangemeldet durchgeführt und das verstärkt. Ständig! Aber das hat man alles hingenommen ...

Und das ging dann bis zur Wende. 1989 sind wir dann ganz privat geworden. Das war ganz einfach. Wir hatten die Kaution bei der HO hinterlegt, die jetzt zurückgezahlt wurde. Die Bestände wurden von uns übernommen und der Gewerbeantrag lief dann auf 'Privat'. Vorher war das eben so halbstaatlich ...

Um die Ware mußten wir uns früher selber kümmern. Wir konnten Ware überall da kaufen, wo wir wollten oder was gekriegt haben. Und so haben wir unsere Ware eben selbst beschafft. Es war unsere Hauptaufgabe, Ware zu beschaffen. Ganz im Gegensatz zu jetzt, wo sie im Überfluß da ist. Heute müssen wir sie verkaufen ...

Die Konkurrenzsituation war nicht schlechter oder schlimmer wie heute, denn damals waren ja die HO-Verkaufsstellen größer vom Volumen und kriegten vom Staat die Ware. Wir mußten uns selbst kümmern. Es gab in Quedlinburg ein großes Haushaltswarengeschäft von fünffacher Größe wie mein Laden und auch einen Heimwerkerladen. Die wurden natürlich immer von der Ware her bevorzugt von den staatlichen Betrieben. Aber man mußte dann eben sehen, wie man klarkommt. Man mußte clever sein. Mußte beispielsweise morgens um fünfe losfahren und die ganze Republik abklappern. Wo kann ich Ware kriegen? Das hat sich auch irgendwie immer gelohnt, weil man dann andere Ware hatte, bessere Ware teilweise, die die anderen nicht hatten. Das war eben unser Vorteil, daß wir uns frei bewegen konnten, während die HO-Verkaufsstellenleiter das nehmen mußten, was zentral vorgesehen wurde. Die hatten dadurch keine Probleme. Sie kriegten die Ware so hingeschoben, wie sie eben kam. Und wir mußten uns selbst kümmern, konnten eben dadurch auch 'ne andere Auswahl treffen. Die HO Verkaufsstellenleiter haben damals nur circa ein Zehntel von dem verdient, was wir hatten. Das hätte mir auch sicher Spaß gemacht, in meiner alten Firma weiter als Chefin zu arbeiten. Ich war da ja Verkaufschefin – und das hat mir da sehr viel Spaß gemacht und war von der Tätigkeit vielleicht interessanter. Aber Sie wissen ja, das eine ist die Arbeit, das andere ist das Geld. Und es war einfach eine finanzielle Frage, weil man sagt: Ich arbeite acht Stunden, habe studiert, habe fünf Jahre wenig verdient und jetzt möchte ich eben Geld verdienen. Das war in der DDR begrenzt. Egal, ob ich als Verkaufsstellenleiter in einem Kaufhaus gearbeitet hätte, es war immer weniger als das, was beim privaten Sektor kam. Das war eben einfach 'ne finanzielle Entscheidung ...

Wir hatten damals ein Auto mit Hänger. Damit haben wir unsere Ware besorgt. Einer ist eben losgefahren, meistens nach Feierabend. Durch die Gegend gefahren, Firmen abgeklappert, wo man Ware bekommen konnte, Industrie sowie Großhandelsfirmen in der ganzen Republik. Natürlich nicht gleich bis nach Rostock, sondern erst mal die nähere Umgebung, Quedlinburg, Halberstadt bis Magdeburg. Das hat eigentlich gereicht, um die Firma so zu führen. Wir konnten unsere Umsätze steigern, von hundertzwanzigtausend Mark im Jahr bis einemillionzweihunderttausend Mark auf fünfzig Quadratmetern Verkaufsfläche ohne Beschäftigte, nur mit 'mithelfendem Ehemann', wie es damals hieß. Und das soll schon was heißen in der DDR ...

Als die Wende kam, war uns natürlich klar, daß wir so, wie wir bisher gehandelt haben, nicht mehr handeln können. Wir sind dann rübergefahren und haben gesehen, wie da die Fachgeschäfte arbeiten. Das heißt, arbeiten haben wir vielleicht nicht ganz gesehen, aber wie sie erst mal aussehen, vom äußerlichen und dann auch was für'n Angebot die haben und wie die Märkte sind. Und dann sind wir natürlich nicht mehr blauäugig gewesen. Da wußten wir schon, daß es in absehbarer Zeit hier genauso wird. Und danach haben wir natürlich auch expandiert ...

Die Wende, keiner hat geahnt, daß das kommt. Das ist wirklich überraschend für alle gewesen. Wir sind ja auch mit auf die Straße gegangen, um was zu verändern, aber eigentlich nicht, um die Grenzen zu öffnen. Darum sind wir nicht auf die Straßen gegangen. Wir wollten das System verändern. Das war eigentlich die Ursache von denen, die da gingen. Nur daß sich das in dieser Form ereignet hat, das hat keiner gewußt und nicht geahnt ...

Damit wollten wir einfach erreichen, daß wir frei sind, daß wir reisen können wohin wir wollen und daß die Firmen ordentlich unter privater Sache wieder arbeiten und nicht, so wie es war. Wir wollten eben einfach das System verändern. Da gab es schon bestimmte Vorstellungen. Da war das Neue Forum, das Vorschläge gemacht hat und auch andere Parteien. Eine einfache Umkonstrukturierung war geplant. Ich bin mit der jetzigen Situation auch zufrieden,aber geahnt hat das so keiner ...

Also für mich persönlich, die ich schon vor der Wende privat war und auch heute noch bin, hat sich kaum was verändert. Finanziell ging es uns vorher gut und jetzt auch. Noch! Wer weiß, wie es sich entwickelt, das weiß keiner. Für uns hat sich da nichts verändert. Wir hatten alle unser Auskommen. Es wurde mit Sicherheit manches dramatisiert, was aber nicht so war. Das einzige, was sich verändert hat, das sind eben freiere Möglichkeiten, etwas zu unternehmen. Nur man muß da immer die Konkurrenz beachten, die Märkte, das Sortiment und so weiter. Sowas gab's ja vor der Grenzöffnung nicht. Die Geschäftsleute waren wirklich alle schuldenfrei, es gab keinerlei Kredite ...

Wenn man selbständig ist, dann hat man einfach keine Zeit oder relativ wenig Zeit. Die hatten wir wirklich in der DDR mehr. Wir hatten ja nicht jeden Samstag auf. Ja, das war eben schon mal ein Vorteil. Und wir hatten auch mittags alle Geschäfte zu. Es war keinerlei Konkurrenz zu befürchten auf dem Gebiet, denn es war eine gesetzliche öffnungszeit. Es war auf der einen Seite für uns zum Vorteil von der Streßseite her. Man konnte unter Mittag seine Bücher führen, man konnte sich auch mal ausruhen oder eben Ware holen ...

Wir hatten vor der Wende einen sehr guten Stammkundenkreis, den konnten wir auch relativ lange halten. Daß jetzt weniger Kunden kommen ... – liegt es daran, daß sie woanders hingehen? Oft liegt es auch an der Arbeitslosigkeit und an den finanziellen Mitteln unserer Kunden. Zu DDR-Zeiten hatte jeder sein Einkommen und konnte regelmäßig das kaufen, was er eben brauchte und bekam. Heute ist das ganz anders. Heute haben unsere Kunden Probleme, mit denen wir ja auch jeden Tag konfrontiert werden. Licht, Wasser, Mieterhöhungen, Arbeitslosigkeit, damit müssen die kämpfen und fertig werden. Das schlägt sich natürlich auf die Kaufkraft nieder. Und dies sind auch neue Faktoren ...

Ich habe insgesamt nach der Wende noch drei Geschäfte eröffnet, und das war auch einfach notwendig ...

 
Hildesheim 2021