Klaus Dierßen
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Roland Dulz
Hundefriseur

Vor der Wende habe ich bei meinen Schwiegereltern mitgearbeitet. Die hatten schon zu DDR-Zeiten ein Zoogeschäft.

Für mich ist es schon sehr viel, was ich hier in den paar Jahren auf die Beine gestellt habe. Aber vielleicht bin ich ein ganz kleines Licht im großen Topf. Hier hinten will ich noch zwei Wohnungen schaffen, aber es ist wahnsinnig schwer, einen Kredit zu kriegen. Wir haben Wohnungsnot, wir haben eigentlich überall Not. Das tut schon weh. Aber für mich sehe ich schon eine Perspektive. Das muß man auch, sonst braucht man es nicht anzufassen. Ich bereue auch nicht, daß ich das hier gemacht habe. Man wird nicht morgen gleich reich, wir fangen ganz klein an. Aber wir wissen, wir wirtschaften für uns und irgendwann platzt mal der Knoten, muß er platzen. Das ist eben unsere Durchhalteparole.

Die kleinen Geschäftleute ernähren die Stadt, und wenn sie die niederhalten, dann halten sie auch die Stadt nieder. So kann das nichts werden.

Im Westen gibt es wunderbar sanierte Innenstädte, da kaufen die Leute gerne ein. Aber wenn hier jeder seine Stadt mal fertig hat, dann haben wir es mal schöner. Denn wenn es jetzt gemacht wird, dann wird es auf dem neuesten Stand gemacht. Die alten Bundesländer müßten jetzt wieder mitziehen. Und das ist bei denen auch die Angst, das es in fünf oder zehn Jahren hier besser aussieht.

Manche müssen sich erst an alles gewöhnen, ich kenne viele, die da Schwierigkeiten haben. Die sagen dann, früher war es besser, hier muß die Grenze wieder her. Denen es früher in der DDR gut ging und denen es jetzt schlecht geht, die wollen die Mauer wieder haben.

Heute sind wir eher zufriedenzustellen, mit dem was wir haben. Und wir sind flexibler, wir machen viel selber. Wir wissen, wir müssen uns um alles kümmern. Der Westler sagt, macht das mal und gut. Wir helfen uns selber. Wir fragen oft, ob etwas möglich ist, dabei ist selbstverständlich möglich. Wir gehen auch in öffentliche ämter oft wie Duckmäuser hinein. Für uns ist vieles noch nicht so selbstverständlich.

Mein Vater hat gesagt: Schick einen Westdeutschen mit einer Blechbüchse in den Wald, der geht zugrunde. Schick einen Ostdeutschen hinein, der kommt mit einer Maschinenpistole wieder raus. Der Ossi, der läßt sich immer was einfallen. Irgendwie geht es immer weiter. Wir mußten ja immer flexibler sein und aus nichts was machen.

Was wir früher nicht hatten, waren Schulden. Was wir hatten, war auch unser. Heute muß man Kredite aufnehmen und daran müssen wir uns erst gewöhnen. Im Westen haben wir immer gestaunt, was unsere Bekannten alles hatten. Aber als wir dahintergeblickt haben, gehörte denen ja gar nichts. Wir sind in deren Augen immer rückständig gewesen, aber jetzt denken sie anders darüber, weil uns im Prinzip mehr gehört. Wir sind in deren Augen immer dümmer gewesen, weil wir ja nichts von der Welt gesehen haben, aber wir haben auch mehr geschafft.

Drüben hat sich das ganz langsam entwickelt nach dem Krieg. Wir sind in die Marktwirtschaft reingeknallt worden. Friß oder stirb. Und das ist der Unterschied.

 
Hildesheim 2021